Schwere Rucksäcke – Wenn Kindheit nicht unbeschwert ist
Die Woche der Erziehungshilfe in Nordrhein-Westfalen macht auf die Vielfalt und Bedeutung der Hilfen zur Erziehung für Kinder, Jugendliche und Familien aufmerksam.
In diesem Rahmen luden fünf Akteur:innen der Bottroper Erziehungshilfe aktuelle und zukünftige Verantwortliche aus Kommunalpolitik und Stadtverwaltung ins Caritas-Kinderdorf ein. Unter dem Motto "Extraschicht der Erziehungshilfe" stellten die Diakonie Wichernhaus Ev. Jugendhilfe gGmbH, die Jugendhilfe Bottrop e.V. sowie der SKF Sozialdienst katholischer Frauen Bottrop e.V., die KJH FLOW gGmbH und der Caritasverband Bottrop e.V. ihre Arbeit vor. Die Einrichtungen stellten nicht nur ihr breites Leistungsspektrum vor, sondern sensibilisierten die Gäste für ihre Herausforderungen und Sorgen und warben um deren Unterstützung in Gegenwart und Zukunft.
Wenn Kindheit nicht unbeschwert ist
Viele Kinder in Bottrop wachsen unter schwierigen Bedingungen auf. Fehlende Bindungen, mangelnde Versorgung oder wiederholte Beziehungsabbrüche prägen ihre Biografien. "Die Rucksäcke mit der Last der eigenen Geschichte wiegen schwer - oft haben die kleinsten Kinder die schwersten Rucksäcke", verdeutlichten Monika Martini und Karin Balzer vom SKF Bottrop e.V. anschaulich. Bereits Zweijährige erleben nicht selten bis zu 6 Trennungen und Umbrüche.Die Folgen reichen von Verhaltensauffälligkeiten über psychische Erkrankungen bis hin zu Suchtproblemen. Häufig brechen ganze Familiensysteme auseinander. Umso wichtiger sind verlässliche Hilfen vor Ort.
Vielfalt an Angeboten - vom Pflegekinderdienst bis zur Wohngruppe
Die Bottroper Einrichtungen zeigten, wie breit ihr Angebot aufgestellt ist und wie eng sie dabei miteinander und mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Auch wenn die Angebote sich teilweise überschneiden, Konkurrenz ist kein Thema. Exemplarisch stellen die Veranstalter einzelne Leistungen aus ihrem Angebot vor:
Der SKF Bottrop e.V. vermittelt mit seinen Pflegekinderdiensten kurzfristig Kinder in Notsituationen in Pflegefamilien. Die Vermittlung und Begleitung durch den SKF kann auf begrenzte Zeit in einer Bereitschaftspflegefamilie oder langfristig geschehen. Es besteht ein so großer Bedarf an Hilfen und Pflegefamilien, dass die Kinder häufig mehr als ein Jahr in der Bereitschaftspflege verbleiben müssen. Im Fokus sind hierbei immer Rückkehroptionen und Unterstützungen der Familien, um die Bedingungen so zu verändern, dass die Kinder wieder in der eigenen Familie leben können. Diese frühzeitige Perspektivklärung ist nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten ein wichtiger Ansatz für die Zukunft, sondern kommt vor allem den Kindern und unserer Gesellschaft präventiv zugute. Monika Martini und Karin Blazer warben daher bei den Anwesenden aus Politik und Verwaltung für einen zeitnahen Aufbau eines solchen Angebotes in Bottrop.
Die Wichernhaus Ev. Jugendhilfe positioniert sich mit ihren Tagesgruppen für Kinder als Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Kinder erhalten nach der Schule eine verlässliche Tagesstruktur mit Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und gezielter Lern- und Sozialförderung. Gleichzeitig werden Eltern und Familien intensiv eingebunden, von der gemeinsamen Teilnahme an Arztterminen über die Begleitung zu Behörden bis hin zur Vermittlung passender Sonderförderungen. "Familien mit hohem Förderbedarf brauchen mehr als eine reine Nachmittagsbetreuung. Wir stärken Kinder, entlasten Eltern und stabilisieren Familiensysteme, so vermeiden wir häufig stationäre Hilfeverläufe", erläutert Andreas Hakstetter, Geschäftsbereichsleiter der Diakonie Wichernhaus.
Die Jugendhilfe Bottrop e.V. bezog sich vor allem auf die Jugendberatung in ihrer Einrichtung. Hier wurde veranschaulicht, dass eine stärkere Anfrage an Jugendberatung vorliegt. Jugendliche kommen häufig in existenziellen Krisen mit einer hohen komorbiden Belastung. Die Beratungsstelle kompensiert häufig fehlende Versorgungsstrukturen im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Dies bindet aufgrund einer erforderlichen hochfrequenten Anbindung der Jugendlichen personelle und zeitliche Ressourcen. Angesichts der bestehenden kritischen Haushaltslage, stellte der Träger die Frage an Verwaltung und Politik, wie diese sie unterstützen kann und gab zu bedenken, dass die Jugendlichen von heute die Erwachsenen von morgen sind.
Doch nicht immer reichen ambulante Förderungen aus. Dann greifen z.B. stationäre Angebote, wie die des Caritas-Kinderdorfes oder Eltern-Kind-Wohngruppen Mutter-/Vater-Kind-Wohngruppen, die FLOW anbietet. Die KJH FLOW engagiert sich mit einem breiten Spektrum an Angeboten innerhalb Bottrops. Exemplarisch wird der Bereich der ambulanten Familienhilfe vorgestellt, der Kinder, Jugendliche und Familien in der Bewältigung ihres von Krisen und Herausforderungen geprägten Alltags unterstützt, Hilfe zur Selbsthilfe bietet und sich für die Verbesserungen der Lebensbedingungen junger Menschen einsetzt.
Das Caritas-Kinderdorf stellte Verselbständigungs-Gruppen für junge Menschen vor, die aus der stationären Jugendhilfe kommen und ein selbstständiges Leben anstreben. Katrin Kohlenbeck leitet eine solche Gruppe und erläutert, warum es für junge Menschen, die zuvor in unterschiedlichen stationären Einrichtungen aufgewachsen sind, besonders wichtig ist, auch über die Volljährigkeit hinaus betreut und begleitet zu werden. Es geht um eine Lebensphase, die von besonderer Bedeutung ist. Die Schule ist abgeschlossen, die Ausbildung oder ein Studium sollen begonnen werden. Man möchte oder muss auf eigenen Beinen stehen. Mögliche Absagen müssen überwunden werden und lassen alte Lebensthemen wieder hochkommen. Daher ist es wichtig, diese Jugendlichen an die Hand zu nehmen, um ein selbstständiges Leben zu gewährleisten.
Ein Beispiel, das Mut macht
Tracy, eine Jugendliche, die viele Jahre im Kinderdorf gelebt hat und gerade ihre Ausbildung zur Kosmetikerin abgeschlossen hat, zeigte den Gästen stolz eine Wohngruppe und ihr Appartement auf dem Gelände des Kinderdorfes, das sie frisch bezogen hat. Jetzt fehlt nur noch ein passender Job.
Politik im Dialog mit der Praxis
Die geladenen Gäste aus Politik und Verwaltung zeigten großes Interesse an der Arbeit der Erziehungshilfe.
Einrichtungsleiterin Barbara Stratmann verweist darauf, dass die Jugendhilfe e.V. seit 20 Jahren mit den gleichen Landesmitteln auskommen muss und fragt, wie die künftigen Entscheider in Politik die Präventionsarbeit unterstützen wollen. Auch wenn keiner der OB Kandidaten Zweifel an der großen Bedeutung der Arbeit der Institutionen hatte, wurde deutlich, dass die Kassen nicht gut gefüllt sind. Sozialdezernentin Karen Alexius-Eifert konstatiert, dass die Erziehungshilfen nicht immer messbar aber von unermesslichem Wert für die Gesellschaft seien. Sie bedauert den engen finanziellen Rahmen und die Tatsache, dass manche Förderungen zeitlich befristet sind.
OB-Kandidat Matthias Buschfeld, SPD, betont seine hohe Wertschätzung für die Angebote, die er mit seinen Besuchen unterschiedlicher Einrichtungen zum Ausdruck bringen möchte. Er verweist auf das erfolgreiche parteiübergreifende Miteinander in Bottrop, mit dessen Hilfe schon oft notwendige Hilfen und Präventionsmaßnahmen in Bottrop installiert werden konnten.
Auch OB-Kandidat Frank Kien, CDU, betrachtet die Angebote der Erziehungshilfe als äußerst wertvoll. Er führt aus, dass Unterstützung nicht immer nur finanzieller Art sein muss und bietet an, das Kinderdorf durch eine strukturierte Vernetzung mit der Wirtschaftsförderung dabei zu unterstützen, Jugendliche wie Tracy in Ausbildungsplätze oder Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln.
Christoph Ferdinand von den Linken und stv. OB-Kandidat, betont, wie wichtig ihm die Prävention in der Jugendarbeit ist und er bedauert sehr, dass Landesmittel oft nicht reichen. Daniela Bockholt, Leitung Jugendamt, beteuert, dass man immer wieder um "kreative" Lösungen ringe, um zu helfen.
Abschließend lobt Kristin Hundrieser, die den Fachbereich Kinder, Jugend und Familie der Caritas Bottrop leitet, das vertrauensvolle und kooperative Miteinander der Player in Bottrop zum Wohle der Familien. Das war nicht immer so, führt Caritas-Vorstand Dr. Andreas Trynogga aus und erinnert sich an seinen Berufsbeginn, als jeder nur für sich gearbeitet habe. Er freut sich, das sich inzwischen Wohlfahrt, private Träger und Kommunen immer weiter öffnen und miteinander kooperieren. Den anwesenden Politikern dankt er für ihr Interesse an einem Thema, das für die Zukunft unserer Gesellschaft so bedeutsam ist.